Internationale Tagung "Museums as Social Institutions – Trust and Communities“ rückt Museumsarbeit in den Fokus
Am 30. November und 1. Dezember trafen sich Museumsfachleute, Bildungsforscher:innen und Psycholog:innen aus über 20 Ländern im Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) in Mainz, um auf der 3. internationalen Tagung des Leibniz Kompetenzzentrums Bildung im Museum (BiM) aktuelle Forschungsfragen zum Thema Vertrauen in Museen und der Zusammenarbeit mit verschiedenen Zielgruppen zu erörtern. Es wurde deutlich, dass Vertrauen das Fundament und der Schlüssel für gelungene Beziehungen und nachhaltige Bildungsprozesse in Museen ist. Diskutiert wurde beispielsweise der Begriff der Neutralität und die Frage, ob Museen neutral sind bzw. sein können. In ihrem Austausch plädierten die Teilnehmenden für mehr Selbstreflektion und ein Überdenken traditioneller Konzepte.
Am ersten Tag der hybriden Konferenz stand das Thema „Vertrauen“ im Mittelpunkt. Die Referent:innen beleuchteten das anhand mehrerer Studien belegte hohe Vertrauen in Museen. Sie diskutierten vor Ort und online, welche Maßnahmen Museen zukünftig aktiv ergreifen können, um auch weiterhin als vertrauenswürdige Institutionen wahrgenommen zu werden. Es wurde deutlich, dass Transparenz, Offenheit und eine dialogorientierte Wissenschaftskommunikation sowie Empathie in der Vermittlungsarbeit und eine inklusive Zugänglichkeit entscheidende Faktoren sind. So könne das Vertrauen der Gesellschaft in Museen und ihre Authentizität anhaltend gestärkt werden.
In ihrer Keynote betonte die Bildungsforscherin Dr. Bernadette Lynch (University College London), dass auch Museen von der aktuellen globalen Polykrise, bestehend aus u.a. Kriegen und Klimawandel, stark betroffen sind. Vor diesem Hintergrund rief sie Museen dazu auf, eine radikale, solidarische Pädagogik anzuwenden. Hiermit sollten sie insbesondere jungen Menschen beistehen und ihnen zeigen, dass sie nicht machtlos, sondern in der Lage sind, aktiv zu handeln. Als Grundlage hierfür sollten Museen sich auf Aktionen konzentrieren, die „richtig" sind, auch wenn das nicht immer „einfach" sei. Als „richtiges Handeln" definierte die Museumsfachfrau Gesprächsbereitschaft und Solidarität in Form von Angeboten, die auf die Verwirklichung partizipativer Demokratie abzielen.Lynch betonte auch, dass das Vertrauen in beide Richtungen gehen müsse und Museen lernen sollten, Besucher:innen als aktive und vertrauenswürdige Akteur:innen einzubeziehen. Sie forderte Museen auf, insbesondere bis dato ungehörte Stimmen einzuladen und ihnen aktiv zuzuhören.
Aus langjähriger musealer Praxis forderte die kanadische Referentin Caroline Loewen (Alberta Museum, Edmonton) in ihrem Vortrag, dass das Konzept „Museum“ im Kontext des gesellschaftlichen Wandels neu überdacht werden müsse, um vor allem Diversität innerhalb des Publikums zu erreichen. Um der öffentlichen Erwartung gerecht zu werden, müssten bestehende Barrieren beseitigt werden. Als ein wichtiges Forschungsdesiderat identifizierte sie die Frage nach der Wahrnehmung von Museen durch neu entstehende Zuwanderungsgemeinschaften.
Kathrin Grotz und Patricia Rahemipour vom Institut für Museumsforschung in Berlin präsentierten den Zwischenstand ihrer Untersuchungen zu öffentlichem Vertrauen in deutsche Museen. Sie sehen das sinkende Vertrauen in die Wissenschaften auch als problematische Entwicklung für Museen. In einem Ausblick stellten sie eine geplante repräsentative Studie zum Thema vor, in der verschiedene Museumstypen miteinander verglichen und Nicht-Besucher:innen einbezogen werden sollen. Die Ergebnisse der Studie liegen voraussichtlich im Februar 2024 vor.
Die Psychologin Friederike Hendricks referierte die Ergebnisse aus ihren Untersuchungen zum Thema Vertrauen in die Wissenschaft und Vertrauen in Museen: „Vertrauen ist nicht blind“, sondern beruhe auf Erwartungen. Die Gründe für das Vertrauen bzw. Misstrauen, das Menschen Museen entgegenbringen, weisen Ähnlichkeiten zu den Gründen auf, warum Menschen in die Wissenschaft vertrauen. Eine weitere Parallele zwischen Museen und Wissenschaft sei ihr epistemischer Kern. Sie erfüllten sowohl eine symbolische als auch eine instrumentelle Funktion zur Informationsvermittlung.
Die Sozialpsychologin Marlene Altenmüller beschrieb, wie das Vertrauen in Wissenschaftler:innen aus den sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren Expertise und persönliche Nahbarkeit zusammensetzt. Sie beobachtete in ihren Studien: Je persönlicher die Wissenschaftler:innen dargestellt werden, desto niedriger die ihnen zugeschriebene Expertise. Dieser negative Zusammenhang konnte im Museumskontext allerdings nicht nachgewiesen werden. Gut zu wissen sei auch, dass es keinen negativen Einfluss auf das entgegengebrachte Vertrauen hat, wenn Museen über Unsicherheiten sprechen oder Fehler korrigieren. Wichtig sei vor allem, Wissenschaftskommunikation auf das jeweilige Zielpublikum zuzuschneiden, Besucher:innen stärker einzubinden und sie mit ihrem mitgebrachten Wissen und Einstellungen wahrzunehmen und wertzuschätzen.
Museen leisten einen substanziellen Beitrag zur Demokratisierung unserer Gesellschaft
Am zweiten Tag widmete sich die Tagung gezielt unterrepräsentierten Besucher:innengruppen im Museum und möglichen Wegen, diese stärker in die Museumsarbeit einzubinden. Beeindruckende partizipative Projektbeispiele zeigten auf, dass Museen eine aktive Rolle bei der Beteiligung und dem Empowerment verschiedener Bevölkerungsgruppen spielen und somit zur Demokratisierung unserer Gesellschaft substanziell beitragen.
Die Leiterin der Abteilung Kommunikation am Staatlichen Museum für Naturkunde Karlsruhe Constanze Hampp erzählte von dem inklusiven Ausstellungsprojekt „Von Sinnen“, für das mit einem Beirat mit Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen zusammengearbeitet wurde. Multisensorische Erfahrungen nach dem Zwei-Sinne-Prinzip ermöglichten Besucher:innen mit und ohne Beeinträchtigung einen Perspektivwechsel und regten zum Erleben und Reflektieren der eigenen Sinne an. Die Mitglieder des Beirats trugen zudem wesentlich zur Sichtbarkeit und Akzeptanz der Ausstellung bei, indem sie diese in ihrem Umfeld bekannt machten. Das Museum möchte auch in künftigen Ausstellungsprojekten das Thema Inklusion und Barrierefreiheit verstärkt mitdenken.
Die albanische Museologin Inesa Sulaj (MuZEH Lab)erweiterte die Tagung um eine ganz andere Perspektive: Albanische Museen stehen laut Sulaj vor großen strukturellen und finanziellen Herausforderungen. So kommt es, dass sich staatliche Museen in Albanien ausschließlich Schulklassen und Touristen widmen und dagegen lokale Gemeinschaften nicht als Zielgruppe ansprechen. Als Mitgründerin der gemeinnützigen Organisation MuZEH Lab zeigt sie jedoch, dass es selbst mit kleinem Budget möglich ist, großartige Gemeinschaftsprojekte zu realisieren und einen Raum für unterschiedlichste Menschen und ihre Ideen zur Verfügung zu stellen. Dadurch entstehen Zugänglichkeit, Vertrauen und Bindung.
Der Kulturerforscher Mark Schep (Dutch Centre for Intangible Cultural Heritage; KIEN) aus den Niederlanden stellte ein partizipatives Projekt mit einem Museum und 17 Jugendlichen aus unterschiedlichen sozio-kulturellen Kontexten vor. Für eine gelungene Zusammenarbeit sei es essenziell, gemeinsame Ziele zu definieren, einen sicheren Raum zu schaffen, unermüdlich zu reflektieren, Offenheit zu zeigen und die Bereitschaft mitzubringen, auf Augenhöhe voneinander zu lernen. Das Museum beschäftige mittlerweile eine Handvoll interessierter Jugendliche für einige Stunden pro Woche, um langfristig im Dialog zu bleiben und zusammenzuarbeiten.
Als Plattform für den Austausch von Erfahrungen dienten zum Ende des zweiten Tagungstages ein analoges wie digitales World-Café. Hier konnten die Teilnehmenden gemeinsam mit Expert:innen verschiedene Fragen und Themen diskutieren. Neben dem Austausch von Erfahrungen, förderte das Zusammenkommen die Weiterentwicklung zielgruppenadäquater Praxisansätze.
Die drei Sprecher:innen des Leibniz Kompetenzzentrums Bildung im Museum resümieren:
„Der intensive Austausch zum komplexen Thema Vertrauen mit Museumsfachleuten und Bildungsforscher:innen aus verschiedenen Teilen der Welt brachte nicht nur viele neue Erkenntnisse, sondern fordert auf zum Handeln. Als Museumsfachleute wollen wir uns weiterhin das Vertrauen unserer (potenziellen) Besucher:innen verdienen, ihren sich ständig ändernden Erwartungen und Bedürfnissen gerecht werden und zur Bildungsgerechtigkeit beitragen, indem wir Partizipation ermöglichen, Mitgestaltung fördern und vielfältige Lernmöglichkeiten für alle bieten. Dies erfordert Anstrengung und die Bereitschaft zur Veränderung.“
Univ.-Prof. Dr. Alexandra W. Busch, Generaldirektorin des Leibniz-Zentrums für Archäologie, LEIZA
„Durch den interdisziplinären Zusammenschluss von Bildungsforscher: innen und Museumsfachleuten im Leibniz Kompetenzzentrum Bildung im Museum haben wir die Chance, Bildungsprozesse tiefgreifend zu analysieren und zu verstehen, um so für die museale Vermittlungspraxis zu lernen. Die Forschungsbeiträge und vor allem die vielen Praxisbezüge in der Tagung haben das beeindruckend gezeigt. Was für mich auf dieser Konferenz besonders herausstach waren die vielen, inspirierenden Beispiele für Co-Creation. Museen können viel von der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Gruppen unserer Gesellschaft profitieren. Indem wir zu einer partizipatorischen Praxis übergehen, können wir nicht nur ein neues Publikum erreichen, sondern auch zugänglicher und inklusiver werden, neue Perspektiven gewinnen und diese auch teilen - und damit den gesellschaftlichen Wandel begleiten.“
Dr. Lorenz Kampschulte, Leiter der Hauptabteilung Bildung am Deutsches Museum
„Diese Konferenz hat die Stärke unseres Kompetenzzentrums deutlich gemacht. Es ist die Verknüpfung von Theorie und Praxis und die Förderung eines fruchtbaren Austausches zwischen Bildungsforscher:innen und Museumsfachleuten zu hochrelevanten Themen. Dies ist ein wichtiger Schritt in unserem gemeinsamen Bemühen, die Besucher:innenforschung und die Bildungsforschung in Museen voranzubringen und unsere Aufmerksamkeit auf aktuell hoch relevante Themen zu lenken.“
Prof. Dr. Olaf Köller, Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor am IPN Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik
Website Leibniz Kompetenzzentrum Bildung im Museum: https://leibniz-bim.de/
Pressemeldung 2022 zu Agenda 2030 und Kompetenzzentrum:
https://www.leibniz-gemeinschaft.de/ueber-uns/neues/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-single/newsdetails/leibniz-forschungsmuseen-auf-dem-weg-in-die-zukunft
Kompetenzzentrum Bildung im Museum
Im Kompetenzzentrum Bildung im Museum haben sich die acht Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft mit vier Bildungsforschungseinrichtungen aus dem Leibniz Forschungsnetzwerk Bildungspotenziale, darunter auch das IPN, sowie der TU München, DASA Arbeitswelt Ausstellung und mit dem Institut für Museumsforschung zusammengeschlossen mit dem Ziel, Besucher:innenforschung und empirische Bildungsforschung zu Museen als informelle Lernorte in Deutschland gemeinsam voranzubringen. Dabei steht die Verbindung von Theorie und Praxis im Vordergrund: Durch die enge Zusammenarbeit können Forschungserkenntnisse unmittelbar in die Bildungspraxis in den Museen umgesetzt, dort evaluiert und die Ergebnisse wiederum Einfluss auf die Forschung nehmen. Die enge Kooperation im Kompetenzzentrum zielt dabei sowohl auf die Bearbeitung übergreifender Forschungsfragen wie auch auf die Einbindung verschiedener Disziplinen in die Entwicklung zentraler Fragestellungen in der Besucher:innenforschung.
Das Kompetenzzentrum Bildung im Museum hat das Ziel, gemeinsame Forschungsansätze zu entwickeln und zu etablieren, und so langfristig zu einer höheren Standardisierung und damit Vergleichbarkeit der Besucher:innenforschung in Deutschland beizutragen. Daher fungiert das Kompetenzzentrum auch als nationale Anlaufstelle für Forschung in Museen und fördert gezielt den Austausch zwischen den Stakeholdern. https://leibniz-bim.de/