Das Gespräch ist eine gekürzte und leicht veränderte Fassung der Folge „Elternperspektiven: KI in der Schule“ des IPN-Podcasts „Im Dialog“, in dem es um Schule, Bildung und Wissenschaft geht. Aktuell wird das Thema KI und die Zukunft des Lehrens und Lernens behandelt. Hören sie doch mal rein!
»Eltern müssen verstehen,dass Hausaufgaben heute anders gestellt werden«
Prof. Knut Neumann, Direktor der IPN-Abteilung Didaktik der Physik, im Gespräch mit Julia André und Britta Kölling über die Elternperspektive zu künstlicher Intelligenz in der Schule

Knut Neumann: Bevor wir uns mit der Frage beschäftigen, wie Eltern den Einsatz von künstlicher Intelligenz, also von KI, in der Schule einschätzen und welche Bedeutung sie in KI für die berufliche Zukunft ihrer Kinder sehen, möchte ich euch beide fragen, wann ihr zuletzt so richtig verblüfft wart, als ihr einem Kind oder Jugendlichen bei der Nutzung von künstlicher Intelligenz zugesehen habt.
Britta Kölling: Am meisten verblüfft mich, wie selbstständig Schülerinnen und Schüler damit umgehen. Jugendliche aus den sogenannten Vorbereitungsklassen z. B. betonen immer, dass sie einem generativem Sprachmodell wie ChatGPT alle Fragen stellen können, die sie wollen, und das finden sie gut. Anscheinend trauen sie sich nicht im Unterricht, „alles“ zu fragen. Verblüfft hat mich auch, dass einer dieser Schüler, der mit KI recherchiert, immer wieder prüft, ob die Antworten stimmen. Er schaut, welche Quellen vertrauenswürdig sind. Er hat eine extrem hohe Kompetenz, um den Output des Sprachmodells zu überprüfen und kann so sehr konkret einschätzen, was stimmt und was nicht. In der Unterrichtsstunde kamen wir aufgrund eines falschen Outputs der KI darüber ins Gespräch, wie künstliche Intelligenz eigentlich trainiert wird.
Julia André: Ich fürchte, ich kann keine so schöne Geschichte erzählen. Ich bin ja nicht in der Schule tätig. Wir haben im Körber-Forum in Hamburg eine eigene Veranstaltungsreihe, in der wir nicht nur über neue Technologien sprechen, sondern diese auch live vorführen. Ich war sehr erstaunt, als uns dort eine Expertin in die Welt der Deep Fakes entführt hat. Ich muss sagen, mir ist ein bisschen schwindelig geworden zu sehen, was da alles möglich ist und wie gutgläubig unsere Wahrnehmung ist.
Knut Neumann: Julia, wenden wir uns der Umfrage zum Thema KI zu, die die Körber-Stiftung mit Eltern gemacht hat. Was sind die zentralen Ergebnisse der Umfrage?
Julia André: Wir haben im vergangenen Jahr zum ersten Mal Eltern von Kindern oder, besser gesagt, Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren befragt, weil uns aufgefallen ist, dass in der Bildungsdebatte dem Elternhaus eine große Bedeutung zugesprochen wird. Das familiäre Umfeld hat einen großen Einfluss auf die Bildungsbiografien von Kindern und Jugendlichen. Das sind aber meistens statistische Größen. Überspitzt gesagt: Wenn die Eltern mehr als einen Meter Bücher im Regal haben, dann machen die Kinder Abi. Man weiß aber immer noch nicht viel darüber, was in den Eltern eigentlich vorgeht, was sie für Wünsche für ihre Kinder haben, welche Sorgen sie sich machen, welches Bild von Schule sie haben oder wie sie sich die berufliche Zukunft ihrer Kinder vorstellen. In der Umfrage ging es um Bildung und berufliche Zukunft. Wir wiederholen diese Umfrage jedes Jahr und setzen dann thematische Schwerpunkte. In diesem Jahr haben wir in den Blick genommen, welche Vorstellungen Eltern von KI haben und ob sie sich wünschen, dass ihre Kinder damit zu tun haben oder eher nicht.
Wir haben wirklich viele interessante Zusammenhänge entdecken können. Eltern ist klar, dass KI ein aktuelles Thema ist. Sie wissen, dass ihre Kinder allgemeine KI-Kompetenzen brauchen werden und dass die Kinder geschult sein müssen im Umgang mit KI, um Chancen in der Arbeitswelt zu haben. An dieser Stelle gab es eine Zustimmung von 78%. Trotz der hohen Zustimmung überwiegt dann aber bei den Eltern die Skepsis, wenn man sie nach dem Einsatz von KI-Tools in der Schule fragt. Ihre allergrößte Sorge ist, dass Schülerinnen und Schüler nur noch schummeln werden.
Britta Kölling: Da möchte ich kurz unterbrechen, denn das ist spannend. Diese Sorge haben nicht nur Eltern, sondern auch Lehrkräfte. Auch in Fortbildungen von Lehrkräften ist dies immer eine der ersten Fragen: Wie kann ich Schummeln beim Einsatz von KI im Unterricht verhindern?
Julia Andrè: Wir haben die Eltern aber auch nach ihren eigenen Erfahrungen mit KI bzw. zu ihren Vorkenntnissen zu KI befragt. An dieser Stelle gibt es deutliche Unterschiede, je nachdem, welche praktischen Erfahrungen die Eltern haben. Und dies hängt wiederum mit ihrem Bildungsgrad zusammen. Eltern, die angeben, dass sie selbst schon mal KI-Tools genutzt haben, und das waren etwa 40 % der Befragten, sind deutlich optimistischer und positiver eingestellt. Sie schauen entspannt auf das Thema und sind dafür, dass KI in der Schule genutzt wird. Die anderen 60% trauen sich kein Urteil zu. Dies heißt aber, dass diejenigen Kinder, deren Eltern keine KI nutzen, in einer Familie leben, in der wenig darüber gesprochen wird. Diese Kinder kommen also mit ganz anderen Voraussetzungen in die Schule. Mein Wunsch ist es, hier anzusetzen. Bei den Fragen um Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit wissen wir, dass die Familie den Unterschied macht, und bei KI spielt dies auch eine große Rolle. Wir haben die Eltern auch gefragt, ob in der Schule ihrer Kinder KI eingesetzt wird. Nur 13% der Eltern sind sich sicher, dass dies schon der Fall ist. Die allermeisten sagen: „Nein, das passiert noch nicht.“
Knut Neumann: Britta, hast du eine Idee, woran es liegt, dass der Einsatz in der Schule doch noch sehr verhalten ist? Liegt das daran, dass die Lehrkräfte die Kritik teilen? Dann müssten sie aber auch wie die Eltern das Potenzial sehen.
Britta Kölling: Ich kann über die Ursachen natürlich nur mutmaßen. Ein Aspekt ist die mangelnde Fortbildung der Lehrkräfte, also überhaupt die zeitliche Ressource zu haben, sich damit zu beschäftigen. Schule hat den Auftrag, Schülerinnen und Schüler auf die Zukunft vorzubereiten. Und die Zukunft wird maßgeblich durch KI geprägt sein. Das können wir nicht ändern. Und deswegen ist es der Bildungsauftrag der Schule, KI einzubinden. Aber wir müssen zuerst die Lehrkräfte befähigen – denn, wenn die nicht befähigt sind, können die wiederum mit den Schülerinnen und Schülern nicht vernünftig arbeiten. Und das führt in eine Art Teufelskreis: Die Schülerinnen und Schüler beschäftigen sich heimlich und unreflektiert damit, schicken z. B. die Hausaufgabe per Screenshot an eine KI. Die KI löst die Hausaufgabe, und es findet keine Auseinandersetzung mit der Aufgabe, kein Denken statt. Im schlimmsten Fall geht dieser Teufelskreis dann weiter, wenn die Lehrkraft nämlich die Hausaufgabe mit einer KI korrigiert. Dann hat niemand mehr gedacht. Deshalb ist es wichtig, Lehrkräfte für den Umgang mit KI zu befähigen. Das muss zum einen über Fortbildungen geschehen, zum anderen aber auch über Zugänge. Also, wir müssen dafür sorgen, dass Schulen datenschutzkonforme Zugänge haben, damit sie KI nutzen können. In einem nächsten Schritt müssen wir dann über eine systematische Etablierung nachdenken.

»Man muss Aufklärung betreiben, dass man KI-Tools sehr wohl sehr reflektiert, sehr klug einsetzen kann.«
Julia André
Knut Neumann: Das, was du sagst, geht mit den Empfehlungen des Deutschen Ethikrates zum Einsatz von KI einher, der betont, dass der Einsatz künstlicher Intelligenz die Handlungsspielräume von allen Schülerinnen und Schülern erweitern und nicht verengen soll, in dem Sinne von: „Ich stelle das Denken jetzt ein und überlasse es der KI.“ Auch Eltern wünschen sich im Grunde, dass ihre Kinder für die berufliche Zukunft in der Schule Selbstständigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Lernbereitschaft, also selbstreguliertes Lernen bzw. selbstständiges Denken lernen. Die Frage ist: Wie können wir das denn mit KI-Anwendungen unterstützen? Julia, habt ihr da Hinweise aus der Studie, wie sich Eltern das konkret vorstellen?
Julia André: Eltern befürchten mit Blick auf den Einsatz von KI im Unterricht, dass geschummelt wird. Darüber haben wir schon gesprochen. An zweiter Stelle steht die Befürchtung, dass die Kinder weniger selbst lernen. Das steht übrigens im Gegensatz zu dem Wunsch, ihre Kinder sollten als Kompetenz Selbstständigkeit lernen. Es herrscht auch die Sorge, dass falsche Inhalte vermittelt werden und dass der Unterricht weniger persönlich, weniger menschlich wird. Im weiteren Verlauf der Fragen gibt es aber auch Zustimmung dazu, dass der Unterricht durch KI bereichert werden kann, dass Kinder besser individuell gefördert werden und dass auch die Lehrkräfte entlastet werden können. Man muss Aufklärung betreiben, dass all diese in den Sorgen formulierten Begleiterscheinungen nicht zwingend bei der Nutzung von KI sind, sondern dass man KI-Tools sehr wohl sehr reflektiert, sehr klug einsetzen kann. Es kommt auf die Aufgabenstellung an. Das heißt auch, dass Hausaufgabenstellungen, vielleicht auch Prüfungen sich verändern.
Britta Kölling: Ich glaube tatsächlich, dass die Vorstellungen mancher Eltern von Schule noch sehr von der eigenen Schulzeit geprägt sind und von den Schulbüchern und Arbeitszetteln, die man damals bearbeitet hat. Ich glaube, dass neue Aufgabenstellungen und neue Prüfungsformate schon sehr im Kommen sind und durchaus auch verbreitet werden. Nichtsdestotrotz müssen wir die Sorgen der Eltern ernst nehmen. Ein Teil des Problems ist, dass sowohl Lehrkräfte als auch Eltern noch von generativer KI sprechen, wenn sie über KI nachdenken, und z.B. adaptive intelligente Systeme gar nicht vor Augen haben. An dieser Stelle bietet KI Möglichkeiten, die für die Eltern noch gar nicht sichtbar sind. Und genau da müssen wir Aufklärungsarbeit leisten.
Knut Neumann: Wie viel Erfahrung haben Eltern selbst mit solchen Systemen und inwieweit nutzen sie die überhaupt? Habt ihr da Ergebnisse aus eurer Umfrage, Julia?
Julia André: Wir haben die Eltern nach Vorerfahrung gefragt. Im Grunde nutzen wahrscheinlich alle KI, außer Leute, die keine smarten Devices benutzen. Vermutlich haben alle eher an generative KI gedacht. Da haben 40% angegeben, dass sie solche Tools selber schon mal genutzt haben, privat oder beruflich. Es gab nur 1 %, die gesagt haben: „Davon habe ich noch nie gehört. 48 % haben gesagt: „Ich habe es noch nicht ausprobiert, aber ich habe eine Vorstellung davon, was damit möglich ist und wie es funktioniert.“ Wir haben auch gefragt: „Sprechen Sie mit Ihren Kindern über das Thema, probieren Sie vielleicht gemeinsam auch Anwendungen aus?“ Bei denen, die selber schon mal ein KI-Tool genutzt haben, geben 72 % an, dass sie in der Familie über das Thema KI und auch über Chancen und Risiken sprechen. Also, das Ausprobieren macht den Unterschied. Das schlägt sich nieder in der Einstellung und auch im Handeln der Eltern, wie sie mit ihren Kindern damit umgehen.
»KI bietet Möglichkeiten, die für die Eltern noch gar nicht sichtbar sind.«
Britta Kölling

Knut Neumann: Wir können aber nicht sagen, da muss sich jetzt die Schule drum kümmern. Schule kann die Grundlagen vermitteln und Kinder im Lernen unterstützen und auch im Erkennen der Gefahren, die der Einsatz von KI möglicherweise mit sich bringt. Die Frage ist, wie wir eigentlich eine Abstimmung zwischen Schule und Elternhaus besser hinbekommen können?
Britta Kölling: Die Frage beschäftigt mich als Schulleitung natürlich sehr. Ich finde es schwierig zu sagen, dass Eltern auch mit KI zu Hause arbeiten müssen. Genauso wie Lehrkräfte fortgebildet werden müssen, müssten dann ja auch die Eltern den Umgang mit KI lernen. Viel wichtiger wäre es, Schülerinnen und Schüler zu befähigen, KI als Lerntutor zu nutzen oder GPTs (Generative Pre-Trained Transformer, Anm. d. Red.) zu trainieren. Ich sehe meinen Bildungsauftrag als Schule nicht darin, auch noch Eltern fortzubilden. Das kann Schule nicht leisten. Nichtsdestotrotz muss natürlich eine Kommunikation stattfinden und das auch in der gesamten Schulgemeinschaft.
Julia André: Schule ist nicht dafür zuständig, Eltern weiterzubilden. Das wäre zu viel verlangt, aber Kommunikation ist wichtig und noch nicht ausreichend vorhanden. In der Umfrage geben nur 9 % gesagt, dass es eine Form von Kommunikation dazu gibt. Das ist sehr wenig. Es ist wichtig, ein gemeinsames Verständnis davon zu haben, wie Schule heute funktioniert und was die Lern- und Bildungsziele sind. In den Köpfen der Eltern herrscht zum Teil noch ein veraltetes Bild von Schule. Sie denken: Du lässt Dir deine Hausaufgabe schreiben? Dabei war das in der Schule genauso besprochen worden und genau das ist die Aufgabe. Das muss den Eltern gegenüber kommuniziert werden. Eltern müssen verstehen, dass Prüfungen heute vielleicht anders funktionieren und Hausaufgaben anders gestellt werden.
Britta Kölling: Man kann Schule auch anders denken: Schülerinnen und Schüler sind in dem Bereich zum Teil sehr gut aufgestellt. Man kann auch sagen: Zeigt uns Lehrkräften doch mal, wie ihr das nutzt. Was können wir eigentlich von euch lernen?
Julia André: Man kann auch über Peer-Formate nachdenken, wie die Schülerinnen und Schüler untereinander voneinander lernen können. Da gibt es noch Potenzial, das nicht überall genutzt wird.

»Wir müssen Lehrkräfte darin bestärken, die Potenziale und Risiken des Einsatzes solcher Technologie für das Lernen zu erkennen.«
Knut Neumann
Knut Neumann: Wir müssen Lehrkräfte darin bestärken, die Potenziale und Risiken des Einsatzes solcher Technologie für das Lernen zu erkennen. Technisch sind Schülerinnen und Schüler weit, aber sie überblicken nicht, worauf sie sich am Ende einlassen. Sie glauben vielleicht tatsächlich, dass die Technologie allwissend ist und sehen die Risiken nicht, die darin steckt, man muss ja nur an Deep Fakes denken. An der Stelle schließt sich der Kreis des Gesprächs. Damit haben wir angefangen. Nicht ohne Grund ist ChatGPT in letzter Zeit so populär geworden. Gleichzeitig wissen wir, dass ChatGPT halluzinieren kann. Die Umfrage der Körber-Stiftung hat interessante Einblicke gegeben, was diesbezüglich in der Schule, aber auch zu Hause passiert. Die wichtigste Frage ist, wie wir Lehrkräfte unterstützen und das Vertrauen der Eltern darin stärken können, dass die Institution Schule an dieser Stelle in der Lage ist, den Schülerinnen und Schülern die gewünschten Fähigkeiten, wie Selbstständigkeit, die Fähigkeit, selber zu lernen und selber zu denken, zu vermitteln. Daraus leitet sich ein Auftrag für die Didaktik ab, möglichst schnell entsprechende Konzepte zu entwickeln, in die Schulen zu tragen und über die Lehrkräftebildung bereits früh an Lehrkräfte heranzutragen.
Ich danke euch beiden sehr für das Gespräch!
Über die Gesprächsteilnehmer*innen:
Julia André ist Leiterin Bereichs Bildung der Körber-Stiftung. Die Körber-Stiftung hat im März dieses Jahres etwa 1000 Eltern von Kindern zwischen zwölf und 18 Jahren zum Thema KI befragt. Die Ergebnisse der Umfrage sind hier zu finden:
https://koerber-stiftung.de/site/assets/files/41369/240705-korber-stiftung_elternumfrage-web.pdf
Britta Kölling war bis vor kurzem Leiterin der Kompetenzstelle Künstliche Intelligenz am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung in Hamburg. Seit diesem Schuljahr gehört sie zur erweiterten Schulleitung am Gymnasium Allee in Hamburg Altona. Hier ist sie für den Bereich Digitalität und Künstliche Intelligenz zuständig.
Knut Neumann ist Direktor der Abteilung für Didaktik der Physik am IPN. Er forscht unter anderem zur Nutzung künstlicher Intelligenz, insbesondere zur Analyse von Lernverläufen und adaptiven Lernangeboten, die darauf aufbauend entwickelt werden sollen. neumann@leibniz-ipn.de