Genie oder Fleiß?

Begabungsüberzeugungen bei angehenden Lehrkräften

von Katharina Asbury

Welche Auswirkungen hat es, wenn Lehrkräfte daran glauben, dass wir uns stetig verbessern können, oder wenn sie schon früh in ihrem Berufsleben davon ausgehen, dass für ihr Fach eine angeborene Begabung erforderlich ist, die nicht erlernt werden kann? Eine IPN-Studie zeigt, wie sich solche Überzeugungen während des Lehramtsstudiums verändern und welche Auswirkungen sie auf das Lernen haben. Die Ergebnisse machen deutlich, dass diese Haltungen nicht nur das Selbstbild der Lehrkräfte prägen, sondern auch die Entwicklungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler.



Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen grundlegende Überzeugungen in Bezug auf Lernen und Entwicklung: Können Fähigkeiten durch Anstrengung verbessert werden oder sind sie unveränderlich? Die Haltung von Lehrkräften zu dieser Frage ist entscheidend, da sie sowohl ihr eigenes Selbstverständnis als auch die Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten der Schüler*innen beeinflusst: Wenn sie daran glauben, dass sie sich verbessern können, fördert dies eine positive Lernkultur. Überzeugungen von festgelegten Schwächen hingegen können negative Einstellungen hervorrufen, wie frühere Studien zeigen.

Die sogenannte Mindsetforschung untersucht, wie Lehrkräfte ihre Überzeugungen zur Veränderbarkeit von Fähigkeiten formen und wie diese Haltung die Entwicklung der Schüler*innen beeinflusst. Im Fokus steht dabei weniger die alte Debatte „Nature versus Nurture“, sondern die Auswirkungen solcher Überzeugungen auf das Bildungssystem. Wie können Schüler*innen dazu ermutigt werden, Herausforderungen, Fehler und Schwierigkeiten als natürlichen Teil des Lernprozesses zu sehen?

Lehrkräfte als wichtigste Lernbegleitung prägen die Lernkultur und die Entwicklungsmöglichkeiten junger Menschen entscheidend. Die IPN-Studie beleuchtet, wie sich die Begabungsüberzeugungen von Lehramtsstudierenden im Studium entwickeln, welche Unterschiede zwischen Fachrichtungen bestehen und wie diese Überzeugungen das Bildungssystem beeinflussen.

Fachspezifische Begabungsüberzeugungen angehender Lehrkräfte

Aber von vorn: Zunächst wurden die fachspezifischen Begabungsüberzeugungen von 1.192 Lehramtsstudierenden in 21 Fächern erfasst. Sie sollten angeben, inwiefern sie glauben, dass für ihr Fach eine angeborene, nicht erlernbare Begabung notwendig ist.

Bei Mathematikstudierenden war die Überzeugung, dass angeborenes Talent notwendig ist, am stärksten ausgeprägt – ein Fach, das Schüler*innen ohnehin oft schwerfällt. Und für Lernende mit Schwierigkeiten in Mathe kann es besonders entmutigend sein, wenn ihre Lehrkraft nicht daran glaubt, dass sie sich durch Anstrengung verbessern können.

Die Untersuchung zeigte, dass diese Überzeugungen die Motivation angehender Lehrkräfte beeinflussen: Je stärker sie an die Notwendigkeit angeborenen Talents glaubten, desto geringer waren ihr Fachenthusiasmus, ihr lehrerbezogenes Selbstkonzept und ihr pädagogisches Interesse. Konkreter ausgedrückt: Sie stimmten beispielsweise der Aussage „Ich arbeite gerne mit Kindern und Jugendlichen“ seltener zu. Das erscheint logisch, denn wer keine Fortschritte durch Anstrengung erwartet, sieht den Nutzen pädagogischer Bemühungen von vornherein als begrenzt.

Es wurde ein Regressionsanalytisches Modell erstellt, um zu untersuchen, ob die fachspezifischen Begabungsüberzeugungen einen Einfluss auf drei wichtige Motivationsfaktoren haben: pädagogisches Interesse, Selbstkonzept und Enthusiasmus. Das Modell (Mehrebenenmodell) wurde für alle Fächer zusammen betrachtet, wobei die Fächer nach Studierenden gruppiert wurden. Ziel war es herauszufinden, ob diese Überzeugungen Vorhersagen darüber treffen können, wie stark diese Motivationsfaktoren ausgeprägt sind.

* = p < .05, ** = p < .001. Kontrollvariablen: Fach und Geschlecht. 

Entwicklung von Begabungsüberzeugungen in der Lehrkräfteausbildung

Angesichts dieser Ergebnisse stellte sich die Frage: Wie entwickeln sich diese Überzeugungen? Und hängen sie vielleicht davon ab, welches Fach eine angehende Lehrkraft studiert?

Zur Beantwortung dieser Fragen wurde die längsschnittliche Entwicklung dieser Begabungsüberzeugungen mithilfe eines latenten Wachstumskurvenmodells untersucht. Dieses Modell ermöglicht es, sowohl zu analysieren, ob und wie sich ein Konstrukt verändert (z. B. wie steil der Slope, also schwach oder stark die Veränderung des Merkmals ist), als auch, ob es individuelle Unterschiede in der Stabilität und Veränderung des Merkmals gibt.

Dabei ergaben sich charakteristische Unterschiede zwischen den Fächern: Mathematik- und Physikstudierende zeigten zu Beginn ihres Studiums die stärkste Überzeugung, dass angeborenes Talent für den Erfolg in ihrem Fach notwendig ist. Über die fünf Jahre des Lehramtsstudiums hinweg nahm diese Überzeugung in beiden Fächern aber auch am stärksten ab. Insgesamt ließ sich in 20 von 21 untersuchten Fächern über den Beobachtungszeitraum ein kontinuierlicher Rückgang der Begabungsüberzeugungen feststellen. Nur im Fach Sport war ein entgegengesetzter Verlauf zu beobachten: Die Studierenden glaubten zunehmend, dass eine angeborene Begabung notwendig für ihr Fach sei. Die Entwicklung dieser Begabungsüberzeugungen hing dabei weder mit der Vorleistung der Studierenden (Abiturnote) noch ihrem Geschlecht oder Alter zusammen.

Die Ergebnisse des Wachstumskurvenmodells zeigten, dass in den Mathematik- und Physikfächern sowie in den anderen STEM-Fächern (Chemie, Informatik, Biologie), Kunst und Philosophie die Begabungsüberzeugungen signifikant abnahmen (Slope war negativ). In den Sozialwissenschaften und Sprachen nahmen die Überzeugungen zwar auch ab, jedoch war der Rückgang nicht signifikant. Im Fach Sport nahmen die Begabungsüberzeugungen im Laufe der vier Jahre zu, dieser Anstieg war ebenfalls signifikant (Slope war positiv).

** = p < .001

Ausblick

Zukünftige Forschung könnte untersuchen, inwiefern Lehrkräfte mit hohen Begabungsüberzeugungen ihren Unterricht als entscheidend für den Lernerfolg bemessen oder anderen Faktoren außerhalb ihres Einflusses (z. B. dem Elternhaus) eine größere Bedeutung betrachten. Eine andere, interessante Fragestellung ist: Wann entstehen die starken Begabungsüberzeugungen von Mathestudierenden, wenn diese bereits bei Aufnahme des Studiums vorlagen? Denn die entscheidende „On-Set-Phase“ (Begriff aus der klinischen Psychologie) muss zu diesem Zeitpunkt bereits stattgefunden haben.

Growth Mindsets – die Überzeugung, dass Intelligenz durch eigene Anstrengung beeinflusst werden kann – sind schon bei jungen Kindern zu beobachten. Besonders prägend für die Entwicklung von Mindsets sind entwicklungspsychologisch sensitive Lebensphasen wie der Übergang von der Grund- zur Sekundarschule, die als kritische Lebensereignisse gelten. Dies basiert auf der Annahme, dass Entwicklungsaufgaben, die in solchen Phasen bewältigt werden, eine Zeit des Umbruchs darstellen, was oft zu einer Umstrukturierung von Selbstkonzepten führt – einschließlich des Mindsets. Studien bestätigen: Die Adoleszenz, geprägt von vielen Veränderungen, ist eine besonders entscheidende Phase für die Mindset-Entwicklung.

Übertragen auf den Lehrberuf könnten auch der Studieneintritt oder der Beginn des Referendariats als solche kritischen Lebensereignisse betrachtet werden, in denen das Mindset verändert wird. Diese Phasen bieten daher Potential für gezielte Interventionen, um das Mindset positiv zu beeinflussen.

Fazit

Angehende Lehrkräfte, die glauben, dass für ihr Fach eine angeborene Begabung notwendig ist, zeigen weniger Enthusiasmus, geringeres pädagogisches Interesse und ein schwächeres Lehrer-Selbstkonzept. Im Verlauf des Lehramtsstudiums nehmen diese Begabungsüberzeugungen allerdings ab. Dies deutet darauf hin, dass sich im Lehramtsstudium förderliche Einstellungen zur Lern- und Entwicklungsfähigkeit von Schüler*innen festigen lassen können.

Über die Autorin:

Dr. Katharina Asbury hat Psychologie an der Universität Kiel studiert. Nach dem Diplom im Jahr 2019 hat sie am IPN in der Abteilung Erziehungswissenschaft und pädagogische Psychologie 2024 promoviert und ist seither Post-Doc in dieser Abteilung. Hier forscht sie hauptsächlich zu Growth Mindset und Begabungsüberzeugungen als Teil professioneller Kompetenz von Lehrkräften. Die hier dargestellten ausgewählten Befunde basieren auf ihrer Dissertation.



Weiterführende Literatur:

Asbury, K., Roloff, J., Carstensen, B., Guill, K., Klusmann, U. (2023). Investigating Preservice Teachers’ Field-specific Ability Beliefs: Do They Believe Innate Talent is Essential for Success in their Subject? Teaching and Teacher Education, 136 (6323), 500 104367

Asbury, K., Carstensen, B., Klusmann, U. (under review). Changing Perspectives: Preservice Teachers’ Field-Specific Ability Beliefs Decrease During University Teacher Education. Teaching and Teacher Education.