Zwischen Burnout und Zufriedenheit
Welche Rolle das Wohlbefinden von Lehrkräften für den Lehrkräftemangel, die Unterrichtsqualität und die Entwicklung der Schüler*innen
von Gyde Wartenberg
„Höllenjob Lehrer“, titelte die Süddeutsche Zeitung vor ein paar Jahren, und Spiegel online zog nach mit: „Lehrer: Burnout trotz hoher Zufriedenheit“. Im April dieses Jahres knüpfte der Spiegel wieder an das Thema mit der Schlagzeile an: „Jede dritte Lehrkraft fühlt sich mehrmals pro Woche emotional erschöpft.“ Das Presse-Echo bezieht sich auf empirische Studien, die nahelegen, dass Lehrkräfte trotz hoher Zufriedenheit zu einer Berufsgruppe mit einem erhöhten Risiko gehören, an Burnout zu erkranken, und über ein starkes Belastungserleben klagen. Gleichzeitig tragen Lehrkräfte große Verantwortung für die kognitive und sozial-emotionale Entwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler. Theoretische Modelle betonen, dass nicht nur das Wissen der Lehrkräfte, ihre Einstellungen zum Beruf und ihre Motivation dafür wichtig sind, sondern auch ihr berufliches Wohlbefinden, das dabei durch ein geringes Burnout-Level und eine hohe Berufszufriedenheit charakterisiert ist. Die hier vorgestellte Studie geht dieser Frage nach und untersucht, welche Rolle das berufliche Wohlbefinden von Lehrkräften für die Bewältigung der vielfältigen Anforderungen ihres Berufs spielt.

Im Rahmen meiner Promotion am IPN habe ich zunächst zwei Forschungssynthesen durchgeführt, um einen systematischen Überblick über die potenziellen Konsequenzen von Burnout (Teilstudie 1) und Berufszufriedenheit (Teilstudie 2) zu erlangen. Als potenzielle Konsequenzen betrachtete ich zum einen Fehlzeiten und die Absicht, den Beruf zu wechseln – in Zeiten des Lehrkräftemangels eine zentrale Frage – aber auch den Zusammenhang mit der Unterrichtsqualität sowie der Motivation und Leistung der Schüler*innen – drei zentrale Aufgaben des Lehrkräfteberufs. In einem nächsten Schritt habe ich anhand eines längsschnittlichen Datensatzes untersucht, ob das berufliche Wohlbefinden von Lehrkräften Veränderungen im Interaktionsverhalten und der Motivation und Leistung der Schüler*innen vorhersagt (Teilstudie 3).

Das heuristische Arbeitsmodell...
...bildet den Rahmen der vorliegenden Arbeit und veranschaulicht die potenziellen Konsequenzen des beruflichen Wohlbefindens (mit den zwei Indikatoren Burnout und Berufszufriedenheit) für den Lehrkräftemangel, die Unterrichtsqualität und die kognitiv-motivationale Entwicklung der Schüler*innen. Die aufgezeigten Konsequenzen lassen sich in zwei Kategorien unterteilen. Einerseits umfassen sie allgemeine, berufsübergreifende Indikatoren der beruflichen Performanz, beispielsweise Berufswechselintentionen und Abwesenheitszeiten. Andererseits werden lehramtsspezifische Performanzindikatoren beleuchtet, wobei es sich um Aspekte der Unterrichtqualität sowie die Motivation und Leistung der Lernenden handelt. Die zugrundeliegende theoretische Annahme besagt, dass erschöpfte Lehrkräfte aufgrund erschöpfter Ressourcen nicht mehr in der Lage sind, ihre beruflichen Herausforderungen effektiv zu meistern, häufiger krankheitsbedingt bei der Arbeit fehlen und sich gedanklich von der Arbeit zurückziehen. Demgegenüber steht die Annahme, dass zufriedene Lehrkräfte mehr kognitive, emotionale und soziale Ressourcen zur Verfügung haben, um effektive Lernumgebungen zu schaffen und ihre Schüler*innen in ihrer Entwicklung zu fördern. Das lässt sich auch darauf zurückführen, dass diese Lehrkräfte seltener von Abwesenheitszeiten vom Arbeitsplatz betroffen sind und weniger dazu neigen, einen Berufswechsel in Erwägung zu ziehen.

Steht das berufliche Wohlbefinden von Lehrkräften im Zusammenhang mit ihrem beruflichen Denken und Verhalten?

Bei einer systematischen Literaturrecherche konnten insgesamt 83 relevante Studien zum Thema Burnout sowie 105 Studien identifiziert werden, die sich mit der Berufszufriedenheit auseinandersetzen. Interessanterweise nahm die Anzahl an Studien in den letzten vergangenen zehn Jahren deutlich zu, was auf ein wachsendes Interesse am beruflichen Wohlbefinden von Lehrkräften schließen lässt. In einem Großteil der identifizierten Studien gaben Lehrkräfte selbst Auskunft über ihr berufliches Wohlbefinden, ihre Berufswechselintention, ihre Fehlzeiten, die Qualität der Interaktion mit ihren Schüler*innen sowie über deren Leistung und Motivation. Allerdings wurden in einigen Studien auch externe Unterrichtseinschätzungen durch Beobachter*innen sowie Befragungen der Schüler*innen zum Unterricht berücksichtigt.
Über alle Studien hinweg zeigte sich ein signifikanter mittlerer Zusammenhang zwischen dem beruflichen Wohlbefinden von Lehrkräften und den betrachteten Resultaten. Demnach denken Lehrkräfte, die vermehrt Burnout-Symptome erleben, eher über einen Berufswechsel nach, fehlen häufiger krankheitsbedingt in der Schule und scheinen weniger effektiv in der Gestaltung positiver Interaktionen im Unterricht zu sein. Auch waren Schülerinnen und Schüler weniger motiviert und engagiert im Unterricht, wenn ihre Lehrkräfte emotional erschöpft waren. Eine höhere Berufszufriedenheit von Lehrkräften ging hingegen in unterschiedlichen Studien mit geringeren Berufswechselintentionen und krankheitsbedingten Fehlzeiten, mehr emotionaler und fachlicher Unterstützung im Unterricht, einer effektiveren Klassenführung sowie einer stärkeren Motivation und Leistung der Lernenden einher. Interessanterweise: Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Studien einige besonders starke Zusammenhänge zwischen bestimmten Burnout-Symptomen und den untersuchten Variablen. So scheint das Erleben emotionaler Erschöpfung am stärksten mit Berufswechselintentionen und krankheitsbedingten Fehlzeiten assoziiert zu sein. Gleiches gilt für die Zufriedenheit im Beruf, die ebenfalls stark mit dem Gedanken an einen Berufswechsel zusammenhängt. Das Erleben von Depersonalisierung steht währenddessen am deutlichsten mit der Unterrichtsqualität in Verbindung.
Bemerkenswert ist hierbei, dass die Zusammenhänge zwar in Abhängigkeit von der Beurteilungsperspektive variierten, aber auch in Studien, die andere Perspektiven integrierten, signifikant ausfielen. Das bedeutet, nicht nur die Lehrkräfte, sondern auch die Lernenden sowie externe Beobachtende bewerteten die Unterrichtsqualität weniger positiv, wenn die Lehrkräfte selbst von vermehrten Burnout-Symptomen oder beruflicher Unzufriedenheit berichteten. Ebenso konnte ein signifikanter Zusammenhang nicht nur mit den retrospektiv erinnerten Krankheitstagen nachgewiesen werden, sondern zeigte sich auch in den Studien, die objektive Dokumentationen der Abwesenheitszeiten verwendeten. Diese Befunde basieren jedoch auf querschnittlichen Daten und sollten in längsschnittlichen Studien bzw. Interventionsstudien überprüft werden.
Steht das berufliche Wohlbefinden von Lehrkräften im Zusammenhang mit Veränderungen in der Interaktionsqualität sowie der Motivation und Leistung ihrer Schüler*innen?
Um dieser Frage nachzugehen, wurden Daten von 43 Mathematiklehrkräften sowie Schüler*innen der fünften Klasse (N = 749) genutzt. Im Rahmen des am IPN durchgeführten IMPULSE-Projekts wurden Lehrkräfte und Lernende zu Beginn und zum Ende des zweiten Schulhalbjahres befragt. Des Weiteren wurden die folgenden Variablen berücksichtigt:
- einige Angaben der Lehrkräfte über ihr berufliches Wohlbefinden (d. h. emotionale Erschöpfung und Berufszufriedenheit),
- eine Beurteilung der Unterrichtsqualität durch die Schüler*innen (d. h. emotionale Unterstützung, Klassenführung und fachliche Unterstützung)
- eine Einschätzung des Selbstkonzeptes in Mathematik durch die Lernenden
Zusätzlich standen zu beiden Messzeitpunkten die Ergebnisse von standardisierten Leistungstests zur Verfügung.

Die Ergebnisse zeigten, dass Schüler*innen sich im Laufe des Schuljahres weniger fachlich unterstützt fühlten, wenn sie von Lehrkräften unterrichtet wurden, die zu Beginn des Halbjahres von einer höheren Erschöpfung berichteten. Im Gegensatz dazu berichteten Schüler*innen von zufriedeneren Lehrkräften, dass deren Unterricht sie stärker zum Nachdenken anregte, ihr Vorwissen aktivierte und sie zur Erklärung ihrer Lösungswege aufforderte. Auf die Entwicklung der fachlichen Leistung und Motivation der Schüler*innen hatte das Wohlbefinden der Lehrkräfte in dieser Studie wiederum keinen Einfluss.

Fazit
Die Ergebnisse meiner hier vorgestellten Studie verdeutlichen, wie relevant das berufliche Wohlbefinden von Lehrkräften für den Lehrkräftemangel, die Unterrichtsqualität sowie die Lernenden ist. Das lässt sich aus den meta-analytischen Zusammenhängen ableiten. Der Befund, dass sich diese Zusammenhänge auch für die Beurteilungsperspektive der Lernenden und externer Beobachter zeigten, unterstreicht zusätzlich die Relevanz des beruflichen Wohlbefindens und deutet darauf hin, dass auch Dritte Verhaltensveränderungen bei Lehrkräften in diesem Kontext wahrnehmen. Um die Richtung dieses Zusammenhangs näher zu bestimmen, bedarf es jedoch weiterführender Forschung. Dennoch werden vor dem Hintergrund der potenziellen Konsequenzen des beruflichen Wohlbefindens von Lehrkräften nicht nur für die Lehrkräfte selbst, sondern auch für die Schulen, die Unterrichtsqualität und die kognitiv-motivationale Entwicklung der Schülerinnen und Schüler, in der Forschung verschiedene Interventionsansätze diskutiert. Diese Ansätze zielen zum einen auf die Stärkung individueller Ressourcen (z. B. sozial-emotionale Kompetenzen) und zum anderen auf die Entwicklung von Ressourcen sowie die Reduzierung von Anforderungen im Arbeitsumfeld ab (z. B. Verbesserung des Schulklimas) und fördern nachweislich das berufliche Wohlbefinden von Lehrkräften.
Über die Autorin:

Gyde Wartenberg war von Mai 2020 bis April 2024 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin in der Abteilung Erziehungswissenschaft und Pädagogische Psychologie am IPN. Seit Mai 2024 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaften im Fachbereich der Pädagogischen Psychologie an der Humboldt Universität zu Berlin. In ihrer Forschung befasst sie sich mich mit dem Wohlbefinden und dem beruflichen Beanspruchungserleben von Lehrkräften sowie mit den Effekten sozial-emotionaler Interaktionen im Unterricht und der Frage, was Lehrkräfte brauchen, um gesund zu bleiben und positive Lernumgebungen zu gestalten.
Weiterführende Literatur:
Wartenberg, G., Aldrup, K., Grund, S., & Klusmann, U. (2023). Satisfied and high performing? A meta-analysis and systematic review of the correlates of teachers’ job satisfaction. Educational Psychology Review, 35(4), 114. https://doi.org/10.1007/s10648-023-09831-4